Dieses Jahr hatte ich für die Leipziger Buchmesse so einiges geplant. War mir doch 2019 die LBM ein bisschen zu stressig gewesen, weil ich nur am Samstag da war, wollte ich es dieses Jahr so richtig auskosten. Ich nahm mir extra Urlaub von Dienstag bis darauffolgenden Montag um wirklich an allen Tagen da zu sein und meldete mich bereits bei erster Nachfrage für die Nornen-WG. Ich plante, mich für jeden Messetag als andere Norne zu verkleiden und bastelte fleißig an Kostümen sowie an diversen Goodies und an einem Zauberstabhalter für die Zauberstäbe des Nornennetzes. Pläne wurden geschmiedet, wir waren auf alles vorbereitet. Wir hatten sogar schon einen Standdienstplan.
Und dann kam Corona.
Und die Messe wurde abgesagt.
Natürlich war es eine sinnvolle Entscheidung gewesen. Immerhin war das die zweitgrößte Messe in ganz Deutschland, die alleine 2019 286.000 Besucher*innen hatte. Ich hatte so gut wie keinen Schaden, weil mir mein Ticket erstattet wurde, kein Bahnticket stornieren musste, weil ich vorhatte, mit dem Auto hinzufahren, sämtliche Basteleien wiederverwenden konnte und sogar das Geld für die Nornen-WG fast komplett wieder zurückbekam.
Und trotzdem: Ich war verdammt traurig darüber. Die ganze Planung, Energie und Vorfreude, die da reingeflossen ist… patsch einfach alles weg und völlig umsonst gewesen.
Den Urlaub nahm ich trotzdem, schließlich war es Resturlaub von 2019. Es gab bereits erste Empfehlungen, zuhause zu bleiben, also verwarf ich meine anfänglichen Pläne stattdessen ausgiebig shoppen und ins Kino zu gehen und blieb brav zuhause.
Eigentlich die besten Voraussetzungen, um in Ruhe schreiben zu können, oder?
Doch ich konnte nicht. Ich hatte absolut keine Motivation dazu. Ich hatte noch eine KG für die Nornen offen, die sich plötzlich von vorne bis hinten unlogisch und lahm anhörte. Ich steckte mitten in einem Kapitel Sisters of Saratoga, doch da mir die ganze Sache auch unglaublich auf den Magen schlug, war eine chipssüchtige Eule das Letzte, was ich brauchte.
Und dann ergab sich plötzlich Ende März die Möglichkeit, bei einem Harry Potter-Roleplay mitmachen zu dürfen. Harry Potter war, trotz diverser doofen Aussagen von J.K. Rowling, immer noch mein absolutes Lieblingsfandom, ich hatte vor etlichen Jahren in einem Forum mal was Ähnliches gemacht und auf Discord hopste ich dank Nornennetz sowieso schon ständig rum. Die Antwort, ob ich da Bock drauf hätte war also recht eindeutig.
Ja, unbedingt. Wem muss ich da meine Seele verkaufen, damit ich mitmachen kann?
Meine Anmeldung war recht kurzfristig und da ich auch noch nicht so Recht die Ahnung hatte, wie das alles ablief, steckte ich auch nicht so viel Energie in die Hintergrundgeschichte meines Charakters.
Ich nahm den erstbesten Namen, den mir der Namensgenerator für »häufige britische weibliche Vornamen« ausspuckte (Emily).Steckte diese nach Hufflepuff, weil ich auch in Hufflepuff bin und da in der Regel auch niemand hinwollte. Ich machte sie lieb, nett, schüchtern und ein bisschen nervig, alles Charaktereigenschaften, mit denen ich sehr vertraut bin und daher sehr authentisch darstellen konnte.
Sie war ein Jahr jünger als das Trio, denn schließlich gab es in Harrys Jahrgang ja auch keine Emily (vollkommen nachvollziehbar, nicht wahr?). Und da der Zeitpunkt der vierte Band war, lies ich sie einen absoluten Crush auf Cedric Diggory haben. Schließlich würde dieser ja bald sterben und dann hatte ich für Emily auch einen hübschen Konflikt. Und Konflikte sind toll, sagt zumindest jeder Schreibratgeber.
Kaum hatte das alles in meinen Charakterbogen gequetscht, ging es auch schon los. Und ich stellte schnell fest: Es hatte sich absolut gelohnt, meine Seele zu verkaufen.
Es machte unglaublichen Spaß in die Welt von Hogwarts abzutauchen, wo es im Jahre 1995 noch kein Corona und keinen Donald Trump (den gabs zwar schon, aber er war um diese Zeit eher mit dem Bau von Spielcasinos beschäftigt) gab.
Und es motivierte mich zum Schreiben.
Worttechnisch schrieb ich zwar weniger (vor allem am Anfang war ich froh, wenn ich hinter die wörtliche Rede noch ein *sagt Emily zu XY* quetschen konnte), aber es war besser als nichts.
Es verbesserte meine Dialoge (also zählt das doppelt) und Charakterentwicklung (zählt dreifach) und dann hatten wir anlässlich Cedrics Tod noch eine wunderbare Übung zum Schreiben von Gefühlen (Holla, jetzt nimmt das schon NaNoWriMo-Wordcounts an).
Mit der Zeit schrieb ich aber immer mehr. Sowohl im Roleplay als auch fernab von Hogwarts. Ich schrieb einen Blogbeitrag anlässlich Poisonpainters Märchensommers, obwohl das dieses Jahr gar nicht nötig gewesen wäre, ich kam in der KG für die Nornen weiter. Und obwohl ich meilenweit an der Deadline vorbeisegelte und die KG bis heute fernab von fertig ist, bin ich doch sehr froh darüber, soweit gekommen zu sein.
Irgendwann nach mehreren Monaten Roleplay und drei Charaktere nach Emily schrieb ich auf die Aufgabe »Und was hat euer Charakter sonst noch so an Weihnachten angestellt?« ein paar Worte. Vielleicht ein paar Worte mehr.
Es sind am Ende über 1.500 Worte geworden. Das waren über zwei Word-Seiten, ich musste sie aufgrund der Zeichenbeschränkung von Discord auf 5-6 mal posten und danach hat die ganze Story den Bildschirm gefüllt. Ich hatte das Ganze an einem Donnerstag geschrieben, wo ich nur zwei Stunden Zeit hatte und das normalerweise auch als Ausrede benutzte, um gar nicht zu schreiben. Doch an dem Tag war mir das egal gewesen. Das Ding musste ja schließlich fertig werden, am nächsten Tag wäre wieder Roleplay, bis dahin musste es fertig sein, sonst wäre es obsolet. Aber ich schaffte es und war am Ende sogar richtig zufrieden mit dem Ergebnis. Und da realisierte ich: Offenbar hatte ich meine Schreibflaute überwunden.
Emily unterdessen hatte ihre Trauer über Cedric überwunden und eine ziemliche Entwicklung gemacht. Und trotzdem freute ich mich unglaublich, dass sie in der Schlacht von Hogwarts sterben sollte (fragt nicht warum, ist vermutlich so ein Autorending).
Eine Erfahrung, die ich im Roleplay gemacht habe, war, dass man nicht allzu viel planen sollte. Oder ich war einfach schlichtweg zu blöd dazu. Jedenfalls nahm ich mir oft etwas vor, dann kam ein anderer Charakter mit einer besseren Idee an und ich warf meine Pläne über den Haufen und machte etwas vollkommen anderes.
Bevorzugt, wenn ich meine Pläne vorher angekündigt hatte.
Und deswegen schmiedete ich für Emilys Tod auch keine großen Pläne. Ich hatte meinen Anfangspunkt, meine kleine Vorgeschichte, die ich spielen musste. Und dann musste Emily nur noch nach Hogwarts kommen. Und sterben.
Als Anhaltspunkt setzte ich mir 22 Uhr (Realzeit). Um 22 Uhr sollte Emily sterben. Das war eine gute Zeit, ich konnte danach noch gut eine Stunde zuschauen und mitfiebern, wer sonst noch starb, dann machten wir unsere Abschlussbesprechung und alles war fein. Anfangs kam ich gut durch meine Vorgeschichte, doch dann wurde die Zeit knapp und als Emily in Hogwarts ankam, war die Schlacht bereits im vollen Gange. Emily hatte keine Kampferfahrung und ich noch weniger also irrte Emily anfangs wie ein kopfloses Huhn durch die Gegend, was aber gar nicht so out of Charakter war. Schließlich kam ich doch ins Kämpfen rein, da war es aber auch schon kurz vor 22 Uhr. Und ich bekam kalte Füße. Musste ich Emily jetzt wirklich umbringen? Das arme Ding! Ich suchte nach einem handfesten Grund, sie nicht umbringen zu müssen, aber mir fiel einfach keiner ein. Und schließlich fand ich mich damit ab. Emily musste sterben.
Und Emily starb tatsächlich. Zehn Minuten nach 22 Uhr, durch einen Todesfluch, den sie eigentlich von anderen ablenken wollte und der dann irgendwie zurückgeworfen wurde (und ich bestimmt eine Minute fuchtelnd dasaß, um auszuprobieren, wie das zaubertechnisch möglich war und wild im Charakterbogen blätternd, wie denn jetzt eigentlich ihre verdammte tote Katze hieß, die sie als Irrwicht hatte).
Emily (und sehr, sehr viele andere) waren zwar tot, doch wir waren lebendig und sehr hungrig auf weitere Roleplay-Abenteuer. Und sie wurden immer abenteuerlicher und skurriler. Ich merkte, wie ich mit jedem neuen Roleplay und jedem neuen Charakter mutiger und experimentierfreudiger wurde und über mich hinauswuchs. Was ich in der Anfangszeit des Corona-Lockdowns nie gedacht hätte.
Eines Abends waren wir ein bisschen Offtopic unterwegs und schrieben über unsere Interessen, die wir neben dem Roleplay sonst noch hatten. Ich fand das ganz toll, da man so einen Blick auf die Personen hinter den Charakteren bekam, von denen ich die meisten auch gar nicht kannte. Es kam die Idee auf einen Abend zu veranstalten, wo jeder etwas vortrug, was er/sie gut konnte. Da habe ich mir natürlich auch Gedanken gemacht, was ich da machen konnte. Vorsingen wollte ich trotz jahrelangem Schulchor nicht, das reichte meistens für den vorletzten Platz beim Karaoke. Für Vortanzen war der Platz zu klein. Und dann erinnerte ich mich an eine Szene in #projektkatze, die ich spannend und gut passend fand. Meine Vorleseskills unterbieten zwar noch meine Gesangsskills (bei meiner Lesung auf der LBM 2019 meiner KG aus »Entzünde den Funken« hatte ich zwei Zuhörerinnen, die nach wenigen Sätzen fluchtartig den Nornenstand verlassen hatten), aber irgendwann musste ich ja schließlich damit anfangen. Also öffnete ich das Manuskript in meinem Schreibprogramm. Da ich die letzten zwei Jahre nur Exposé und Leseproben an diverse Verlage und Agenturen geschickt hatte, hatte ich auch überhaupt nicht mehr die Details meines Romans im Sinn.
Ich durchsuchte das Manuskript, ob ich vielleicht noch eine passendere Stelle zum Vorlesen fand und stellte plötzlich fest: Mensch, da ist ja eine Emily! Wo kommt denn Emily plötzlich her?
Alles was Roman-Emily in der Szene tat, war sich bei ihrer Englischlehrerin ausheulen, dass der Mathetest so schrecklich war.
Doch ich sah in meine Hintergrundinformationen, wo ich anlässlich des NaNoWriMo 2015 einen intensiven Recherche- und Worldbuildingmonat betrieben hatte und da unter anderem auch eine komplette Liste der Mitschüler meines Protagonisten erstellt habe, inklusive Beziehungen untereinander und Sitzplan. Es hatte sogar Sinn und eine tiefere Bedeutung, dass sich ausgerechnet Emily bei der Englischlehrerin ausheult.
Ich las meinen Roman von vorne bis hinten noch einmal durch und stellte fest »Mensch, das ist ja voll witzig und spannender als ich in Erinnerung hatte. Warum veröffentliche ich das nicht?«
Vor Selfpublishing hatte ich immer Angst gehabt. Das macht doch sooo viel Arbeit und kostet auch noch so viel Geld (Lektorat, Cover, Buchsatz usw). Ne, besser ich suche mir einen Verlag, der macht das dann alles für mich und ich brauche mich um nichts mehr kümmern.
Und ich war aber in den letzten Monaten in Schreibdingen auch vor allem durch das Roleplay so viel mutiger geworden, dass ich davor keine (oder nicht mehr so viel) Angst mehr hatte. Wenn #projektkatze kein Verlag möchte… dann mache ich das eben selbst!
Ich schrieb meine langjährige Nornenkollegin Katherina Ushachov an, ob sie denn Zeit hätte, #projektkatze zu lektorieren. Und das hatte sie tatsächlich.
Zurzeit bin ich am Einarbeiten dieses Lektorats, dann geht es für eine zweite Runde noch mal zurück, dann kommt das Korrektorat und wenn dann auch noch Cover und Distributor geklärt sind… wird #projektkatze erscheinen. Als echtes Buch und E-Book. Und da freue ich mich schon sehr darauf. Ich habe noch keine Ahnung, wann das soweit sein wird. Ich hoffe noch dieses Jahr. Wenn nicht, ist das auch nicht so schlimm. Ich werde euch auf jeden Fall auf dem Laufenden halten. Hier auf cazzeschreibt und wenn ihr noch detailliertere Einblicke bekommen wollt, dann folgt mir doch auf Instagram, wo ich zurzeit in den InstaStorys sehr aktiv bin und gerne mit mysteriösen Seitenzahlen um mich werfe.